Irgendwann Ende 2023 beschloß ich für mich, keine Workshops mehr zu besuchen, in denen es darum geht, WIE ich fotografiere, sondern nur noch solche, in denen es darum geht, WAS ich fotografiere.
Ich mußte mir eingestehen, daß es zwar immer lustig war, mit den anderen Teilnehmern beisammenzusitzen, daß es zwar immer Spaß gemacht hat, zusammen durch die Straßen zu laufen, aber daß ich einfach nicht so viel für mich mitnahm. Am meisten lernte ich immer dann, wenn wir alle unsere Bilder auf den Tisch legten, rote Linien suchten, aus- und einsortierten und überlegten, wie das nun weitergehen könnte. Bei richtig guten Portfolio-Reviews passiert so etwas auch. Aber eigentlich bräuchte ich eine sehr, sehr ausführliche Portfolio-Review. Und so wies mir der brasilianische Fotograf Gustavo Minas, der ein Wochenende hier in Frankfurt war und einen Workshop anbot, den Weg. Ich solle zum Zurborn, sagte er zu mir, und zu Gudula, die das gleiche Problem hatte wie ich, ebenso. Also gingen wir zum Zurborn.
Wolfgang Zurborns Arbeit kannte ich schon, ich besitze etliche seiner Fotobücher. Aber der entscheidende Schubs, mich zu seinem sechsmonatigen Workshop “The Theatre of real Life” anzumelden, fehlte mir bislang – ich bin Ehrenvorsitzende im Club derer, die immer glauben, noch nicht weit genug zu sein. Dabei war das GENAU das, was ich brauchte. Einmal im Monat Sonntagfrüh nach Köln zu fahren stellte sich auch als machbar heraus. Zur Vorbereitung druckte ich einen gigantischen Stapel Fotos aus und schaute mir etliche der “Editing Challenges” an, die auf Youtube zu finden sind. Dergestalt präpariert stand ich an einem Januarmorgen in der Lichtblick-School in Köln-Nippes, hatte wegen einer Person, die zehn Minuten den Bäckereischalter mit ihrem Zahlvorgang blockierte, noch nichts gefrühstückt und nahm an dem langen Tisch Platz. Zum Glück gab es Kaffee und reichlich Kekse.
Ein Tisch voller Zeugs
Einer nach dem anderen verteilte seine Fotos entweder auf dem Tisch oder elektronisch auf dem Miro-Board, einer sehr praktischen App, mit der man Bilder auf riesigen Leinwänden herumschieben kann. Das Gute daran, die Bilder auszudrucken, ist nicht nur, daß man sie dann physisch auf einem Tisch herumschieben kann. Man muß sie sich vor allem vorher alle anschauen, und zwar gründlich und immer wieder, ob man nicht doch noch eins vergessen hat. Mein Bilderverzeichnis ist das Organisierte was in diesem Haushalt zu finden ist (meine Steuererklärung weint, wenn sie mein Bilderverzeichnis sieht), daher ist das zum Glück kein unbewältigbarer Wust. (Irgendwann schreib ich mal was über meinen wahnsinnig gut organisierten, wenngleich leicht exzentrischen Workflow, wenn Euch das interessiert.) Seine eigenen Fotos ständig anzuschauen hat natürlich auch zur Folge, daß man sie abwechselnd superbrillant und komplett scheiße findet, aber das Risiko muß man halt eingehen.
Der Kurs “Theatre of real Life” läuft nun folgendermaßen ab: Nach Sichtung und Herumschiebung der Bilder aller Teilnehmer nimmt sich jeder nun ein Projekt vor, an dem er die nächsten Monate arbeitet. Manchmal verändert sich das spontan, das passiert. Und das Projekt kann auch einfach “gute Streetphotography” sein. Nach meinen 300 Fotos von Kreuzfahrtschiffen und Luxusressorts hab ich mir vorgenommen, mich im heimatlichen Frankfurter Bankenviertel herumzutreiben, da hatte ich schon einen Anfang gemacht und wollte das weiter verfolgen. Einmal im Monat trafen wir uns in Köln und sichteten das, was dazugekommen war, überlegten, was noch fehlte, schauten, was zusammenpaßt. Das motiviert natürlich auch, mit der Kamera rauszugehen. Man sollte nicht unterschätzen, was man dabei lernt, wenn man die Fotos der anderen anschaut. Und es gibt am Nachmittag, wenn noch Zeit ist, meist noch einen Vortrag zu einem Thema. Und ja, remote geht das alles auch, man muß nicht zwingend vor Ort sein.
Blick aufs Miro-Board: wir stellen Seiten zusammen; hier meine Bankenviertel-Bilder
Am Ende erschient dann immer ein Katalog des gesamten Kurses. Meine acht Doppelseiten seht ihr oben, das war da noch work in progress. Überrascht hat mich, daß man doch viel mehr Füllbilder braucht als man so denkt, wenn man ein Buch zusammenstellt. Es paßt eben nicht immer Gewimmel neben Gewimmel und Kracher neben Kracher, man braucht auch mal eine Nahaufnahme oder ein etwas ruhigeres Bild. Davon hatte ich viel zu wenige. Und was paßt, was sich zu einer sinnvollen Sequenz fügt, das hat nicht immer unbedingt eine inhaltliche Logik. Am besten, man hält die Bilder probeweise nebeneinander, dann sieht man es schon, wenn man sich ein wenig darin geschult hat. Und sich darin zu schulen, dafür war dieser Kurs richtig gut.
Wie ich auf die Idee mit dem Bankenviertel-Projekt gekommen bin? Ich habe immer und immer wieder meine Bilder angeschaut. Und dieses hier mit dem Mann im Café fühlte sich irgendwie an wie ein loses Ende. Es ist im Februar 2016 entstanden, auf meinem allerersten Photowalk mit Collateral Eyes, als ich noch lange, lange nicht in der Gruppe war. Solche losen Enden hat jeder, man muß sie nur finden, dann kann man sich daran entlanghangeln. Das Bild gibt mir nun mit seinem Licht und seiner Stimmung die Richtung vor.
Momentan brauche ich erstmal keinen Workshop mehr, ich hab Projekt und Plan und ein bißchen mehr das Gefühl, grundsätzlich zu wissen was ich tu. Das Langzeitprojekt “Bankenviertel” verfolge ich noch eine Weile, bis daraus mehr als nur acht Seiten geworden sind. Nächstes Jahr steht auch mal wieder eine längere Fernreise in einem fotografisch unanstrengenden Land auf dem Plan, auf die ich mich sehr freue. Und noch etliches anderes ist zu tun, das ich Euch hier natürlich beizeiten mitteilen werde.
Ich wünsche Euch ein ideenreiches, inspiriertes, motiviertes neues Jahr, möglichst viel Licht eurer Wahl und immer einen vollen Akku.
(Und wenn ihr Themenwünsche, Anregungen, Ideen habt, erreicht ihr mich am Besten auf Insta.)
– Gutes Neues! Eure Andrea
Links
Alec Soth erklärt in einem einstündigen Video, wie er zu seinem Projekt “Advice for young Artists” kam. Da kann man sich mal einen Tee dafür machen, aber er erzählt das wirklich sehr schön.
Auf seinem Streetlife-Kanal unterhält sich Samuel mit der Schweinfurter New Yorkerin Nina Welch-Kling (ihr Buch “Duologes” hab ich hier ja schonmal erwähnt).
Terminkalender
bis 5. Januar 2025: Robert Frank – Be happy. Museum Folkwang Essen
bis 26. Januar: Elliott Erwitt. Vintages. Städtische Galerie Karlsruhe
bis 9. Februar: Oskar-Barnack-Award, Leica-Galerie Wetzlar
bis 23. Februar 2025: Stern-Reportagen von Marie-Claude Deffarge & Gordian Troeller, Museum Folkwang, Essen
bis 3. März: Deutschland 1980. Fotografien aus einem fernen Land. Altonaer Museum, Hamburg
bis 27. April 2025: Sachlich neu. Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch und Robert Häusser. Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim
bis 4. Mai 2025: “Perception, Passion and Pain”. Fotos von Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe und Philip-Lorca DiCorcia, aus der Sammlung F.C. Gundlach. Deichtorhallen Hamburg
3. Mai bis 12. Oktober 2025: Street Photography. Lee Friedlander, Garry Winogrand, Joseph Rodríguez. Museum Ludwig Köln
Hab den Workshop vom Wolfgang vor einigen Jahren auch durchlaufen und kann deine Gedanken nur bestätigen! 🤗
Was macht denn ein Land fotografisch unanstrengend/anstrengend? (Ich bin neugierig und kann es wirklich nicht einschätzen, abseits von politischen Gründen vielleicht)